Butter bei die Fische – oder doch besser Margarine zum Visch? Echt jetzt, ich kann diesen Shitstorm aus den Sozialen Medien nicht mehr lesen, wenn es um Fleischersatz-Produkte geht! Richtig ab ging es, mal wieder, während des gesamten Veganuary. Ganz klar: Fleischersatz polarisiert – aber warum ist das eigentlich so und muss wirklich jeder (ja, auch ich!) seinen Senf dazugeben?
Hier ein paar Beispiele typischer Posts aus den eingschlägigen Facebook-Gruppen und gesammelte Werke von diversen Instagram-Kommentaren quer durch die Bank:
- Warum muss man ein pflanzliches Produkt „Bratwurst“ nennen? Das ist doch irreführend!
- Fleischersatz ist industrieller Müll und ungesund!
- Ich lasse mir nicht vorschreiben, was ich essen will!
- Wer braucht schon Produkte, die etwas pflanzlich nachahmen, was es schon gibt?
- Ein echter Veganer isst so einen Müll nicht!
- Soja wird unter erheblichem Aufwand aus dem Regenwald herangekarrt – was ist daran nachhaltig?
Und so weiter und so weiter. Das schlimmste daran ist, dass die gestammelte Kritik aus Facebook & Co. sowohl von Fleischfessern als auch von Graskauern stammt! Beide Extremlager (Carnivore und Veganer) finden Fleischersatz so richtig schlecht und nutzen jede Gelegenheit, ihre Meinung lautstark zu verbreiten. Wenn ich keine Dominosteine mag, muss ich sie weder kaufen noch essen. Warum muss nun jeder Vollhorst im Schatten der Anonymität, welche das Netz bietet, mit seiner persönlichen Abneigung nerven und darüber hinaus diejenigen verteufeln, die Dominosteine geil finden?
Fleischersatz polarisiert – aber warum?
Aktuelle Beispiele für polarisierende Entscheidungen und die Reaktionen darauf: Nach dem erfogreichen Feldtest der Bahn im Veganuary 2023 mit veganer Currywurst, veganem Flammkuchen und Chili sin Carne hat das Unternehmen nun entschieden, diese Produkte dauerhaft anzubieten, was eine wirklich lobenswerte Entscheidung ist! Doch das Ergebnis: Shitstorm und Entrüstung! Ein weiteres Beispiel ist die vegane Fleischerei aus Dresden, denn hier werden seit einigen Wochen plantbased Fleischalternativen abgeboten, die nach einer Überprüfung durch Mitarbeiter der Lebensmittelüberwachung, nun teilweise umbenannt werden müssen, weil Verbraucher bei insgesamt 12 Produkten in die Irre geführt werden könnten. Zudem erhalten die Betreiber mittlerweile nicht nur Hassmails sondern sogar Drohungen – weil die Jungs und Mädels es gewagt haben, die Worte „Vegan“ und „Fleischerei“ zu kombinieren!
Bekloppte Welt 2023
Der eine marschiert in ein fremdes Land ein und nennt es „Spezialoperation“, der andere fordert eine genderneutrale Umstrukturierung der deutschen Sprache, der nächste will verstandsneutralisiert den Planeten Vulcan als Herkunftsland im Perso eintragen lassen. Wir leben in… Pardon! echt bekloppten Zeiten! Nur das Leben – und vor allem „Leben lassen“ ist unserer Gesellschaft irgendwie abhanden gekommen. Aber zurück zu den beiden Lagern, die sich gerne und laut zum Thema Fleischersatz erzürnen. Der Einfachheit halber greife ich jetzt mal richtig tief in die beiden stereotypen Schubladen.
Fleischfresser fühlen sich bedroht
Ja sorry, ich bin auch Fleischesser, fühle mich von Fleischersatz allerdings weniger bedroht sondern vielmehr bereichert, denn ich liebe saftiges, würziges Fleisch und wünsche mir dennoch, von dieser überstrapazierten „Droge“ runterzukommen. Und das klappt mittlerweile schon verdammt gut – dank Fleischersatz! Denn es gibt diese alternativen Perlen, die sehr gut und nahezu authentisch schmecken und bei denen ich nur wenige Kompromisse eingehen muss. Auch wenn der überwiegende Teil der alternativen Produkte eher so lala oder teilweise sogar richtig mies umgesetzt ist und ausschließlich in die Karten der Produzenten spielt, bin ich mir sicher, dass mangelnde Nachfrage es richten wird und die schlechten Produkte verschwinden. Wir stehen erst am Anfang der Entwicklungen, der richtig heftige Shit kommt erst noch!
Warum lehnen eine Minderheit aus dem Fleischlager diese Alternativen ab? Wahrscheinlich weil sie den Untergang des Abendlandes befürchten, wenn es mehr Fleischersatz in den Kühltheken gibt oder sie haben Angst, dass es bald weniger Fleisch geben wird – was wiederum den Preis in die Höhe treiben würde. Dazu passt auch die aktuelle Pressemitteilung von Lidl, wonach der Discounter den Anteil an Produkten tierischen Ursprungs reduzieren wird. Ein kühner, aber wichtiger Schritt!
Aber sollten wir Fleisch nicht ohnehin eher als Luxus betrachten? Als etwas besonderes, auf das wir uns freuen? Die Wertschätzung gegenüber einem Stück Fleisch ist in den letzten Jahrzehnten völlig abhanden gekommen. Alles wird von der Industrie bis zur letzten Borste verwurstet und in halbwegs essbare Produkte umgewandelt – Müll, der so zwar gut durch unsere Körper recycelt wird, doch zu welchem Preis?
Der Preis, den wir dafür zahlen, sind nicht die Kleckerbeträge für Billofleisch in den Supermärkten – sondern die Umstände für Tiere und verarbeitende Menschen bei Tönnies & Co. Die industrielle Abfertigungs-Maschinerie von Fleisch und Fisch ist nicht nur grausam, sondern nachweislich unökologisch, unsozial, unethisch und in höchstem Maße ungesund. Massentierhaltung macht Tiere anfällig und nur mit ordentlichen Antibiotika-Zugaben wird dieses Sytem vor dem Kollaps bewahrt. Und wofür? Dafür dass jährlich umgerechnet in ganzen Tieren 8,9 Millionen Hühner, 640.000 Schweine, 50.000 Rinder und hunderttausende Puten, Gänse, Enten und Schafe in Deutschland im Abfall landen. (Angaben der Heinrich-Böll-Stiftung). Laut FAO gehen 14,5 Prozent aller vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen auf das Konto der Nutztierhaltung. Noch ein Grund also diesen Massenwahnsinnskonsum endlich zu reduzieren.
Veganer pochen auf Lebens- nicht Ernährungsweise…
Ja noch einmal sorry: ich bin auch Veganer! Teilzeitveganer immerhin. Vegan sein, heißt vegan leben – vegan essen, ist da nur eine Facette. Nach deren Gusto kann ich mich zwar vegan ernähren – bin aber noch lange kein Veganer! Einige Veganer vertreten den Standpunkt „ein bisschen reicht nicht“. Hier ist die 100%-Zufriedenheitsstufe erst erreicht, wenn keine tierischen Produkte konsumiert werden sprich Leder durch Kunstleder, Wolle oder Seide durch Microfaser ersetzt werden und auch Honig und die meisten Kosmetika verzichtet wird. Dennoch muss ich an dieser Stelle widersprechen, denn kein Mensch auf dieser Welt ist ein echter Veganer – abgesehen von einem tibetanischem Mönch, der sich jenseits der Zivilisation oberhalb von 5.000 Metern auf einem Berg angesiedelt hat und keinen Fuß aus seiner Höhle setzt. Schließlich könnte er beim Gang auf eine Ameise treten…
Ein Plantbased-Patty auf einem Burger statt Fleischfriko? Aber da ist ja noch Majo aus Eiern drauf! Viele probieren im Veganuary fleischreduzierte Ernährung. „Ganz oder gar nicht“ lautet dann oft die Devise aus dem Veganercamp und Fleischersatz ist einigen von ihnen geschmacklich wie optisch zu dicht an tierleidgeprägtem Fleisch und industriell zu stark verarbeitet – das ist ja widerlich! Aber auch Veganer haben die Weisheit nicht mit Löffeln gefressen, selbst wenn sie konsequent auf Tierprodukte verzichten. Dennoch reicht es für manche Jünger aus der veganen Religionsgruppe, Anderslebende mit der Keule von ihrem Lebensstil überzeugen zu müssen – was derart penetrant umgesetzt, natürlich nicht funktioniert. Druck erzeugt Gegendruck, ganz einfache Physik! Diese Extremisten sind dann auch der Grund dafür, warum „vegan sein“ belächelt wird und ein Geschmäckle bekommen hat. Mein „Dank“ geht an dieser Stelle raus an die selbsternannte „Militante Veganerin“.
Veganistischer Fleischesser mit Spaß am Ausprobieren = Flexitarier!
Und ein drittes mal SORRY!, denn ich bin Flexitarier! Ich probiere jedoch vieles aus, Fleischersatz, echte vegane Gerichte mit viel Grünzeug, Asiatisch, Griechisch, Römisch, Katholisch… Ich versuche bewusst auf Fleisch zu verzichten und habe meinen Fleischkonsum drastisch reduziert. Massentierhaltung und Zerspanungsbetriebe a la Tönnies empfinde ich als abstoßend. Dennoch gönne ich mir hin und wieder ein „gutes Stück Fleisch“ vom Metzger, das mit dem Discounter-Fleisch außer dem Namen, nichts gemein hat. Und das kann ich bewusst und mit Vorfreude genießen.
Veganern krempelt es wahrscheinlich gerade die Fußnägel um – aber ich bin bekennender Allesfresser mit westeuropäischem Migrationshintergrund und hinterfrage meinen Lebensstil und meine Art mich zu ernähren von ganz alleine. Extreme – egal in welche Richtung – finde ich nervend. Ich töte aggressive Wespen, die mir in die Nase fliegen wollen ebenso wie nervige Fruchtfliegen. Nicht aus Spaß, sondern einfach weil sie mir auf den Sack gehen. Das schlägt vielleicht ganz mies auf mein Karma – aber damit kann ich aktuell recht reuelos leben. Ich lebe und kann leben lassen. Lasst Ihr die Leute essen, was ihnen schmeckt. Ich wünsche mir, dass sich jeder mehr Gedanken macht, was er sich auf den Teller packt, aber verlangen kann das niemand. Ich kann aber mit diesem Blog dazu beitragen, dass Leute ausprobieren, welche neuen Produkte die Industrie für uns bereitstellt. Wenn es insgesamt darauf hinausläuft, weniger Fleisch zu konsumieren, ist das ein guter Ansatz! Dass es so ist, zeigt auch die eine oder andere Statistik, hier von der PHW-Gruppe. PHW? Ein klassischer Fleischverarbeiter, zu dem unter anderem die eher bekannten Namen Wiesenhof und mittlerweile auch Green Legend gehören.
Fleischersatz polarisiert auch mich!
Als ich 2021 Fleischersatz-Produkte.de initiierte, begann die unüberschaubare Vielfalt von Fleischalternativen gerade hoffähig zu werden. Plötzlich füllten sich die Supermärkte und Discounter mit fleischähnlichen Produkten ohne Fleisch. Und genau diese häufig geschmeckte Diskrepanz zwischen blumigem Produktnamen und dem Produkt, was dann schlussendlich auf dem Teller landete, zündete den Funken bei mir. Gerade in der Anfangszeit waren so richtig miese Umsetzungen am Start! Schnell (unter-)entwickelt und produziert, damit auch jeder was vom großen plantbased-Kuchen abbekommt.
Denn den Fleischproduzenten – selbst Tönnies! – ist mittlerweile klar, dass die fetten Tierjahre vorbei sind, das Segment ist dermaßen ausgelutscht und spült einfach nicht mehr genug Kohle in die Kassen! Es hat sich ausgewurstet, die Industrie hat sich quasi selbst kannibalisiert, ausgekaut und gründlich verdaut. Und wenn klassische Fleischverarbeiter plötzlich ihre nachhaltige grüne Seite entdeckten und deshalb uns Verbrauchern was Gutes tun wollen, ist Vorsicht angesagt! Ja, Fleischersatz dient der Gewinnmaximierung auf Seiten der Industrie. Aber, wir brauchen diese tierfreien Alternativen auch dringend! Und diesen Pakt müssen wir aktuell eingehen, damit mehr Geld in die Entwicklung alternativer Proteinquellen und Produkte fließt.
Aktuell gibt es noch zu viele trashige Produkte, die man nur sehr wohlwollend annähernd als „Fleischersatz“ bezeichnen kann. Den ganzen Mist, darf man eben einfach nicht kaufen, dann müssen Produzenten mehr Grips und Entwicklung in Fleischersatz-Produkte stecken! Durch die Bank, ist noch unglaublich viel Luft nach oben, was Geschmack und Konsistenz angeht. Das kann ich nach knapp 300 getesteten Produkten mit Fug und Recht behaupten! Die wenigen aktuell verfügbaren Produkt-Highlights, die mir ein Lächeln ins Gesicht zaubern und mich innerlich sagen lassen: „Ja verdammt, geht doch!“ machen die weitere Reise im Fleischersatz-Universum so spannend!
Lasst doch einfach das Steinigen und Anfeuern von Scheiterhaufen! Bei einem Punkt finden wir alle zusammen: gibt es noch einen Grund, auf ein Schnitzel zu bestehen, wenn es eine hunderprozentige Alternative aus pflanzlichen Proteinen gibt? Nein! Jedes Schitzel, dass nicht vom Tier stammt und dennoch lecker schmeckt, ist ein gutes Schnitzel und damit ein armes Schwein weniger, das in die Schredderanlage wandern muss. Unterm Strich profitieren wir alle davon!
Hi, ich bin Chris: Kommunikationsmanager, Journalist, Autor und verantwortlich für die Inhalte auf Fleischersatz-Produkte.de. Ich schreibe bereits seit mehr als 25 Jahren redaktionelle Testberichte für Zeitungen, Zeitschriften und Magazine aus dem Bereich Technik, seit 2021 fokussiere ich mich auf das Thema Fleischersatz und setze mich kritisch mit den Produkten sowie der industriellen Herstellung von plant-based Alternativen auseinander.